Gedenkfeier in Bachmanning

Am 8.6.2017 um 18:00 Uhr – lud die Gemeinde Bachmanning und die Gedenkinitiative Bachmanning zu einem Gedenken an die lokalen NS-Opfer . die Häftlinge im KZ-Außenlagers Bachmanning, die Sinti-Familie Rosenfels-Jungwirth, der Widerstandskämpfer Alois Steiner und die Kinder Paul & Wladimir – ein. Die Gedenkfeier fand beim Gemeindeamt in Bachmanning (Bezirk Wels-Land) statt. Nach der Begrüßung durch Bürgermeister Karl Kaser sprachen der Schriftsteller Erich Hackl, Bezirkshauptmann Josef Gruber (Wels-Land) und MKÖ-Vorstandsmitglied Robert Eiter. Musik und Texte der Gedenkinitiative zu den Opfern begleiteten die Kundgebung.

Ansprache von Erich Hackl

In Bachmanning existierte von 1942 bis 1944 ein Außenkommando des KZ Mauthausen mit überwiegend spanischen Häftlingen. Aus diesem Grund legten Iris Federspiel, Pedro Gómez jun. und Karl Sturm – die Angehörigen der unvergessenen Francisco Comellas, Pedro Gómez und Fidel Olivé – namens unseres Gedenkvereins an der Gedenktafel einen Kranz nieder. Auch die Rede von Erich Hackl, die wir im folgenden dokumentieren, beschäftigt sich mit den republikanischen Spaniern von Bachmanning.  

 

Tote, an die man mit Zuversicht denkt

Von Erich Hackl

Das Generalthema, das vom Mauthausen-Komitee Österreich für die Gedenk- und Befreiungsfeiern dieses Jahres ausgerufen wurde, bereitet mir einiges Kopfzerbrechen. Es lautet: „Internationalität verbindet“, wie der Werbeslogan eines Telefonanbieters oder einer Spedition, und tatsächlich konnte man bei den Reden, die letzten Monat in Ebensee, Mauthausen und am Wiener Heldenplatz gehalten wurden, den Eindruck gewinnen, daß das Erinnern an Menschen, die in den nazideutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern gelitten haben, im Propagieren des als „Einigungs- und Friedensprojekt“ apostrophierten Wirtschaftsblocks der EU untergegangen ist. Mir war beim Zuhören recht mulmig zumute, und mich fröstelte, nicht nur wegen des unbeständigen Wetters.

Bevor ich darangehe, die Gründe meines Unbehagens an dieser Art von Vergangenheitsbewältigung darzulegen, muß ich gestehen, daß mir Bachmanning als Stätte eines Außenkommandos der Konzentrationslager Dachau resp. Mauthausen bisher unbekannt war. Ich wußte nicht einmal, daß es eine Ortschaft dieses Namens gibt, in der eine kleine Schar Häftlinge – offenbar nie mehr als zwanzig – zwischen Juni 1942 und September 1944 Zwangsarbeit in einem Sägewerk leisten mußte, das die SS ihrem Firmenimperium einverleibt hatte. Neu war mir auch, daß fast alle von ihnen republikanische Spanier waren, also einer über Jahrzehnte kaum beachteten Häftlingsgruppe angehört hatten. Sie setzte sich aus Männern, Jugendlichen, auch Frauen zusammen, die nach der Niederlage der Republik nach Frankreich geflohen, dort den deutschen Invasoren in die Hände gefallen und mit Duldung des Francoregimes nach Mauthausen oder in andere Konzentrationslager deportiert worden waren. Von den rund siebeneinhalbtausend Spaniern im Lagerkomplex Mauthausen haben nach heutigem Wissensstand nur 2.716 überlebt. Die Sterberate von 64 Prozent wäre noch höher, würde man diejenigen berücksichtigen, die nach der Befreiung an den Folgen der Lagerhaft verstorben sind.

Mir liegt nur eine Bestandsliste des Außenkommandos Bachmanning vor, nämlich die in der Schreibstube Mauthausen gefertigte „Veränderungsmeldung für den 13. September 1943“. Darin sind die Namen, Geburtsdaten und Häftlingsummern der Männer verzeichnet, die an diesem Tag hierher überstellt wurden, in alphabetischer Reihenfolge von Aguilar Palos, Manuel bis Tomás Ortiz, Julio. Achtzehn von ihnen waren Spanier; wie ich feststellen konnte, haben sie ihre Befreiung noch erlebt. Auch die zwei übrigen politischen Häftlinge, die Polen Józef Furtak und Ladislaus Stachurski, dürften mit dem Leben davongekommen sein, jedenfalls scheinen sie im Totenbuch Mauthausen nicht auf.

Diese unerwartet positive Bilanz wirft zwei Fragen auf. Erstens die nach den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Außenkommando Bachmanning. Gut möglich, daß die Häftlinge im Sägewerk von mehreren couragierten Zivilarbeitern unterstützt wurden, daß die Verpflegung besser war als in den anderen Lagern, die Unterbringung menschengerechter. Aber entscheidend über ihr Schicksal waren Charakter und Geschick des Kommandoführers, über den ich nichts in Erfahrung bringen konnte. In zwei anderen Außenlagern von Mauthausen, in Vöcklabruck und Ternberg, stellten ebenfalls Spanier das Gros der Häftlinge. Sie standen unter dem Kommando ihres Landsmannes César Orquín Serra, eines Anarchisten aus Valencia, der nicht nur deutsch sprach, sondern es auch verstand, die SS-Männer für sich einzunehmen. Deren Wohlwollen nützte er dazu, die Lage seiner Landsleute zu verbessern. Mein Freund Francisco Comellas, der sich nach der Befreiung in Wels, dann in Leonding niedergelassen hat, bezeichnete Orquín als seinen eigentlichen Retter. Dieser habe an einem Ort, der mit wissenschaftlicher Präzision zur Menschenvernichtung bestimmt worden sei, Bedingungen zum Menschsein geschaffen. „Sicher beging er Fehler und Übergriffe, sehr wahrscheinlich war er zu eigenwillig, aber er bewahrte seine Integrität und seinen Anstand in den wichtigsten Belangen, so daß praktisch alle Häftlinge seines Kommandos mit dem Leben davongekommen sind.“

Angenommen, es hat in Bachmanning einen ähnlich umsichtigen Kapo gegeben: Das würde noch nicht erklären, warum alle zwanzig Männer auch später, nach ihrer Rücküberstellung, in Mauthausen, Ebensee oder einem anderen Außenlager überleben konnten. Ein Rätsel, das man gern lösen möchte, weil es für einmal das Grauen ausspart. Ihr Alter hilft dabei nicht weiter: Der Älteste, Joaquín Olaso Piera, war Jahrgang 1900, zum Zeitpunkt seiner Überstellung nach Bachmanning also 43 Jahre alt, der Jüngste, der Pole Stachurski, gerade 21 geworden. Wenig aufschlußreich ist auch die geografische Verteilung der Spanier, die aus Andalusien, Aragón, Kastilien, der Mancha, Murcia, Valencia, Katalonien, aus dem Baskenland und von den Kanaren stammten.

Ich frage mich, wie sie mit den beiden Polen ausgekommen sind. Polen und Spanier gerieten im Lager oft aneinander, wegen der fanatischen Frömmigkeit der einen, des inbrünstigen Atheismus der andern, der auch Gläubige anderer Länder provozierte. Im Gespräch mit dem katalanischen Historiker Josep Benaul hat sich Eduardo Garrigós Soler, einer der Spanier von Bachmanning, daran erinnert, wie ein Landsmann von ihm in Mauthausen einen tschechoslowakischen Geistlichen – vermutlich Otakar Švec, einen Domherren vom Prager Veitsdom – aufgefordert hatte, zum lieben Gott um ein paar Kartoffeln zu beten, wenn er schon an ihn glaube und als Kardinal außerdem noch himmlische Protektion genieße. „Soria, du bist ein kleines Teuferl“, habe der Tschechoslowake erwidert. „Ich weiß, daß ich ein Teufel bin, aber beten Sie erstmal um Kartoffeln.“

Es ist nicht viel, was sich über die Spanier von Bachmanning finden läßt. Keiner hat seine Erinnerungen veröffentlicht oder ist bisher mit einer ausführlichen Monografie gewürdigt worden. Vom 1911 geborenen Andrés Rubio Martínez aus Castilléjar (Provinz Granada) weiß ich nur, daß er vor Ausbruch des Bürgerkriegs in Librilla (Murcia) gelebt hat, und von Nicolás Tejera Martín wiederum, daß er in Murcia, nämlich 1919 in Puerto de Lumbreras, geboren ist, und 1935 der sozialistischen Ortsgruppe von Íllora (Granada) angehört hat. Ähnlich dürftig sind die Suchergebnisse im Fall Manuel Muñoz Rodríguez, der aus Villanueva del Duque (Córdoba) stammte. Nach der Befreiung ließ er sich in der okzitanischen Kleinstadt Fleurance (Départment Gers) nieder, wo er 1948 eine Exilspanierin heiratete, fünf Kinder hatte und als Maurer arbeitete, ehe er 1982, mit 64 Jahren, starb.

Die Nummer 10 auf der Bachmanninger Häftlingsliste, José Navarro Castilforte, ist 1912 in El Pedernoso (Cuenca) geboren. Nach einer Meldung der Tageszeitung ABC starb er am 25. September 1996 in Fuente Nueva, einem Höhlendorf der Gemeinde Orce, im nordöstlichen Winkel der Provinz Granada. Navarro Castilforte hinterließ eine Frau, drei Kinder sowie eine ansehnliche Sammlung von Büchern über den Widerstand gegen die Francodiktatur und den Hitlerfaschismus. Vier Jahre vor seinem Tod war er in Orce öffentlich geehrt worden; dort ist auch eine Straße nach ihm benannt.

Die Biografie von Vicente Méndez Hernández aus Santa Cruz de La Palma ist hingegen, lückenhaft, nur bis zur Befreiung am 5. Mai 1945 erschlossen. Dem Lokalhistoriker Pedro Medina Sanabria zufolge ist Méndez Hernández 1906 geboren, nicht 1916, wie in der Häftlingsliste angeführt. Von Beruf Zigarrendreher, wurde er im Mai 1937 wegen seiner Mitgliedschaft in der Tabakarbeitergewerkschaft der Insel verhaftet, der „bewaffneten Rebellion“ – gegen die aufständischen Militärs, auf die das behauptete Delikt viel besser zugetroffen hätte – angeklagt und trotz Freispruchs gefangengehalten, bis man ihn im Zuge eines größeren Geiselaustausches im August 1938 mit dem Schiff aufs Festland brachte, nach San Sebastián, von wo er über Frankreich nach Spanien, und zwar auf republikanisches Gebiet, zurückkehrte. Der nächste lebensgeschichtliche Eintrag, aus dem Jahr 1941, betrifft seine Einlieferung in das Stalag Altengrabow in Sachsen-Anhalt, aus dem er nach Mauthausen überstellt wurde.

Eduardo Garrigós Soler habe ich bereits erwähnt. Er ist 1909 in Benilloba (Alicante) geboren, aber schon als Dreijähriger mit seiner Familie nach Katalonien emigriert. In Sabadell arbeitete er als Knüpfer in einer Spinnerei. 1932 heiratete er, 1934 wurde sein Sohn geboren, 1936 brach der Bürgerkrieg aus. Er kämpfte in der Columna Alpina, einer spontan gebildeten Milizkolonne, dann in der regulären Volksarmee und nahm als Politkommissar einer Einheit der Division Líster an den Schlachten um Teruel und an der Ebrooffensive teil. 1939 flüchtete er nach Frankreich, wurde nacheinander in vier Lagern interniert und 1940 als Angehöriger einer französischen Arbeitskompanie von deutschen Truppen festgenommen. Im Jänner 1941 traf Garrigós in Mauthausen ein, wo er zuerst im Steinbruch, dann in der Weberei, zwischendurch auch im Nebenlager Steyr schuften mußte. Er war maßgeblich an der Entstehung des spanischen Häftlingskomitees beteiligt. 1990 lebte er in Frontignan bei Montpellier, an der französischen Mittelmeerküste. Unbekannt, wann er gestorben ist.

Joaquín Olaso Piera ist der einzige Spanier des Außenkommandos Bachmanning, dessen Lebensgeschichte in vielen Details und noch mehr Legenden überliefert ist – die eines Berufsrevolutionärs, der als Kind armer Kleinbauern in Carcaixent (Valencia) zur Welt kam, mit zwölf Jahren in einer Druckerei zu arbeiten begann und als 45-Jähriger in seinen alten Beruf zurückkehrte. Dazwischen liegen Jahre in Valencia, Barcelona, Paris und der Sowjetunion. Er gründete ein halbes Dutzend kommunistischer Parteien, organisierte einen Generalstreik, schürte die blutig niedergeschlagene Oktoberrevolution 1934, flüchtete aus dem Gefängnis, war an der Seite Ernö Gerös für den sowjetischen Geheimdienst tätig – als Ojo de Moscú, „Auge Moskaus“, wurde er bezeichnet –, beteiligte sich an der Liquidierung der als trotzkistisch verleumdeten, gegen die Politik der Volksfrontregierung opponierenden Vereinigten Marxistischen Arbeiterpartei POUM, baute nach dem Sieg Francos in Katalonien heimlich Widerstandszellen auf, kämpfte in der Résistance, wurde des Verrats verdächtigt, schließlich von der Gestapo verhaftet, gefoltert und in das Lager Neue Bremm in Saarbrücken gesteckt. Am 24. August 1943 traf er in Mauthausen ein. Bachmanning war sein erstes Kommando, was vermuten läßt, daß die illegale spanische Häftlingsorganisation bemüht war, ihn fürs erste dem unmittelbaren Zugriff der Lagerkommandantur zu entziehen.

Würde man Joaquín Olasos Leben erzählen, dürfte auch seine große Liebe nicht fehlen, die Lagerarbeiterin Dolores García Echevarrieta aus einem Nachbardorf von Carcaixent, die er jung geheiratet hatte. In Barcelona stellte sie der chilenische Konsul, der Dichter Pablo Neruda, als seine Privatsekretärin ein. Ich weiß nicht, ob sie ihm nach Madrid gefolgt ist, aber in Paris soll sie 1939 wieder für ihn gearbeitet haben, als er sich darum bemühte, republikanischen Spaniern die Überfahrt nach Chile zu ermöglichen. Jahre später war Dolores wie ihr Mann im französischen Widerstand tätig, wurde ebenfalls von der Gestapo gefaßt und im Rahmen einer „Nacht-und-Nebel“-Aktion nach Ravensbrück deportiert. Anfang März 1945 traf sie mit einem Konvoi weiblicher Häftlinge in Mauthausen ein. Die Begegnung zwischen ihr und Joaquín, im Krankenrevier des Stammlagers, soll die einzige in der Häftlingsgeschichte des Konzentrationslagers gewesen sein, in der es einem Ehepaar gegönnt war, beieinander zu sein. Dolores und Joaquín starben auch gemeinsam, am Abend des 31. Jänner 1954 in ihrer Pariser Wohnung, an Gasvergiftung, verursacht durch einen defekten Herd. Bis heute halten sich Gerüchte, daß es kein Unfall gewesen sei.

Der letzte Häftling des Arbeitskommandos Bachmanning, von dem biografische Splitter zu finden waren, hieß Ángel Sánchez López. Er stammte aus Calasparra (Murcia), wo er 1919 geboren wurde, lebte jedoch seit seinem zwölften Lebensjahr in Manresa, sechzig Kilometer hinter Barcelona. Auch Sánchez López ließ sich nach der Befreiung in Frankreich nieder. Der Ehe mit einer Katalanin entsprangen vier Kinder. Er starb 1995 in Annecy. Anfang dieses Jahres wurde in Manresa ein Stolperstein für ihn gesetzt.

Mit einem anderen KZ-Überlebenden aus Manresa kehre ich an den Beginn meiner Ausführungen zurück. In seinem autobiografisch gefärbten Roman „K.L. Reich“ hat Joaquim Amat-Piniella den „Lagergeist“ von Mauthausen nüchtern, fernab jeder Verklärung beschrieben: „Der Wettkampf um die Plätze, die wirtschaftliche Macht bedeuteten, war erbarmungslos. Die Devisen, mit denen Anhänger, Einfluß oder sogar SS-Leute gekauft wurden, waren gestohlen. Jeder stahl, und überall wurde gestohlen. Die Kunst des Verschwindenlassens galt als bürgerliche Tugend, und der größte Dieb galt, wenn er erwischt wurde, als Held.“ Unter den spanischen Häftlingen schwand diese Verrohung und Laxheit der Sitten erst nach der Ankunft mehrerer Dutzend Landsleute, die wie Olaso Piera für die Résistance gearbeitet hatten. „Mit ihnen kam der frische Wind des Maquis ins Lager, sie waren von der Entsagung und dem Heldentum des Kampfes im Untergrund geprägt; Herolde der Woge der Befreiung, die bereits an den Atlantikwall brandete. ‚Zusammenhalt aller gegen den gemeinsamen Feind’ lautete ihr Motto. Eine Welle der Begeisterung lief durch das Lager.“

Amat-Piniellas Darstellung der Laster liest sich wie ein Katalog neoliberaler Postulate: daß Güterabwägung das fundamentale Bewegungsmoment der Individuen ist; daß deren Verhältnis zueinander ein reines Benutzungsverhältnis ist; daß nur das gewinnsüchtige Individuum eine Überlebenschance im Daseinkampf hat; daß alle anderen ausgesiebt werden. Die Häftlinge verinnerlichten diese Postulate unter den Bedingungen des Terrors. Erst mit den eintreffenden Partisanen stellten sich zwei verschüttete Erfahrungen, Solidarität und Kampfgeist, ein. Könnte die Aktualität des Gedenkens an die Häftlinge von Mauthausen, Bachmanning und den anderen Lagern nicht darin bestehen, daß in ihrer totalen Ökonomisierung die unsrige erscheint, in der Ankunft ihrer nicht korrumpierten Gefährten der von uns ersehnte Zusammenhalt, ohne den sich der Käfig des Kapitalismus nicht sprengen läßt?

„Die Erinnerung an die Vergangenheit kann gefährliche Einsichten aufkommen lassen“, hat Herbert Marcuse geschrieben, „und die etablierte Gesellschaft scheint die subversiven Inhalte des Gedächtnisses zu fürchten.“ Die eingangs erwähnten Gedenkfeiern lagen fest in den Händen der etablierten Gesellschaft. Ein Vorsitzender mit vielerlei Funktionen, ein sendungsbewußter Schriftsteller, salbungsvolle Politiker, von der eigenen Ergriffenheit ergriffene Moderatorinnen. Fast alle brandmarkten den Nationalismus als die große, unser Europa bedrohende Gefahr, ohne einen Gedanken an die Frage zu richten, ob nicht beide – der Neoliberalismus als die hegemoniale Ideologie und Praxis innerhalb der Europäischen Union und die chauvinistische Variante des Nationalismus – auf Auslese und Unterwerfung setzen. Unter die Marktgesetze, den Standortvorteil, die Wettbewerbsfähigkeit der eine, zusätzlich noch unter die Eingeborenengemeinschaft, der alle anderen Völker minder sind, der andere. Und ob nicht, davon abgesehen, die Armen, Arbeitslosen, Prekären den Rassismus wie einen Knochen hingeschmissen bekommen. Solange sie an ihm kauen, kommt es ihnen nicht in den Sinn, eine politische Bewegung zu stärken, die ihre wirklichen Interessen vertritt.

In Mauthausen forderte Willi Mernyi, „allen Arten von Populismus und Nationalismus eine Absage zu erteilen“, also vermutlich auch Podemos, der Scottish National Party, dem Zionismus und – zu spät! – den deutschen Wiedervereinigern, und Robert Menasse erachtete, in Ebensee, die hypothetische Behauptung für zutreffend, daß „die europäische Idee, die vorläufig zur Europäischen Union geführt hat, in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis entstanden“ sei. Ich hätte zwar eher darauf getippt, daß diese Idee schon 1931 jemand anderem gekommen war, nämlich Carl Duisberg, dem Präsidenten des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, bevor er verkündet hatte: „Erst ein geschlossener Wirtschaftsblock von Bordeaux bis Odessa wird Europa das wirtschaftliche Rückgrat geben, dessen es zu seiner Behauptung in der Welt bedarf.“ Aber wie auch immer, die afrikanischen und aus Lateinamerika stammenden Häftlinge von Mauthausen hätten sich gewiß gefreut, so spät noch als Erfinder des Europagedankens gewürdigt zu werden.

Gerade am Schicksal der Spanier erweist sich, wie unpassend das Motto der diesjährigen Gedenkfeiern ist. Die Spanische Republik unterlag in dem von den Militärs angezettelten Bürgerkrieg, weil die „Internationalität“ der Rechten – faschistische Militärhilfe plus kapitalistische Nichtintervention – stärker war als der Internationalismus der Linken, ein Begriff, der nicht gedenkfeiertauglich war. Das Wort ‚Antifaschismus’ übrigens auch nicht, ich habe es von keinem einzigen Redner gehört. Am Leid, das über die Lagerhäftlinge gekommen ist, war offenbar nur die überholte Weltanschauung des Nationalismus schuld, ohne dessen Mobilisierungskraft andererseits – wenn wir an Volksfront, Vaterländischer Krieg, nationaler Befreiungskampf, patriotischer Widerstand denken – der Kontinent von Bordeaux bis – na, sagen wir: Athen damals deutsch geblieben wäre und es inzwischen auch wieder geworden ist, mehr oder weniger.

Ein Glück, daß es die Gedenkfeiern an den Stätten der kleinen Außenlager gibt. Man merkt den lokalen Einzelkämpfern, Initiativen und Komitees an, daß sie manches einstecken mußten – und weiterhin müssen. Das macht sie ausdauernd und verläßlich. Gegen Eitelkeit sind sie oft immun. Die Liste der Ehrengäste, die in Mauthausen des langen und breiten verlesen und beklatscht werden, ist vergleichsweise kurz, Prominenz eher schütter, die Anteilnahme echt. Es besteht die Möglichkeit, einige der Verfolgten und Geschundenen mit Namen zu nennen, Umrisse ihrer Biografien zu zeichnen, sie wenigstens in Worten auferstehen zu lassen, Tote, an die man mit Zuversicht denkt.

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